«New Work ist eine Notwendigkeit»

«New Work» wird gemeinhin als mitarbeiterzentriertes Führen und Arbeiten verstanden. Im Zentrum stehen Kreativität, Entwicklungsmöglichkeiten und selbstbestimmtes Handeln. Heike Bauer begleitet Unternehmen in der Transformation hin zu New Work. Für sie enthält der Begriff jedoch noch wesentlich mehr: Mit ihm verbindet sie auch die Parallelität von Tätigkeiten, die Flexibilität von Biografien und nicht zuletzt eine Haltung, die dem wachstumsorientierten Kapitalismus kritisch gegenübersteht. In diesem Sinne ist für sie New Work eine Notwendigkeit, um die Zukunft zu meistern.

Heike Bauer

Heike Bauer berät Unternehmen, die sich auf den Weg der Transformation zu «New Work» begeben. Von ihrer Herkunft her ist sie Industriefachwirtin, BA CII IHK. Sie ist zudem Gründerin von mitarbeiterzufriedenheit.ch und Inhaberin von Gonline Schweiz. Ist zudem Referentin beim Bildungszentrum Zürichsee, Speakerin und Autorin (u.a. FHNW Studie Arbeitswelt 4.0).

Der Philosoph Frithjof Bergmann schlug in den 1980er Jahren vor, das kapitalistische System der Lohnarbeit in etwas zu transformieren, das er New Work nannte. Diese Neue Arbeit sollte auf drei Säulen ruhen: Sie sollte die Existenz sichern, auf neuesten Technologien beruhen, und sie sollte Raum für Arbeit lassen, die man «wirklich, wirklich will». Was davon ist Wirklichkeit geworden?

Heike Bauer: Die Wirklichkeit ist von der Vision noch sehr weit entfernt. Das hat Bergmann auch noch zu Lebzeiten festgestellt. Aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg dahin. Nebst Geduld braucht es noch ein tieferes Verständnis dafür, was Bergmann eigentlich wollte. Es geht ja nicht nur um die digitale Transformation und auch nicht allein um die Veränderung von Strukturen. Es geht vielmehr um einen tiefgreifenden Kulturwandel. Und so etwas kann man nicht von heute auf morgen umsetzen.

Was macht diese Kultur des New Work aus?

In erster Linie ist es eine Kultur, die weniger geldgetrieben ist. Bergmann wollte gewiss nicht den ganzen Kapitalismus schlechtreden. Aber die Art und Weise, wie der moderne Kapitalismus mit Menschen und Ressourcen umgeht, steht in der Kritik. Unsere Probleme – etwa zwischen den Generationen oder der Klimawandel – haben sehr viel mit den Werten zu tun, die wir leben und nach denen wir arbeiten. Der Wertewandel, der nun nicht zuletzt zwischen den Generationen ausgefochten wird, ist der Treibstoff für New Work.

New Work lässt sich nicht anders beschreiben als ein neues Werteprinzip und eine neue Haltung zur Arbeit.

Lassen Sie uns das noch etwas genauer fassen. Wie definieren Sie New Work?

New Work lässt sich nicht anders beschreiben als ein neues Werteprinzip und eine neue Haltung zur Arbeit. Wir dürfen New Work nicht mit Theorien wie etwa der Arbeitswelt 4.0 verwechseln, die sich mit neuen Arbeitsmodellen befasst. Das ist ebenfalls wichtig, aber lediglich die Konsequenz der digitalen Transformation. New Work ist auch keine Personalentwicklungsmassnahme, keine Organisationsmethode und schon gar kein Prozess. Aber der Einsatz von Technologie wird genau die Freiräume schaffen, die wir brauchen, um unseren Standard zu erhalten, und die uns erlauben, uns anderen Dingen zu widmen und uns mit der Frage der Sinnhaftigkeit unseres Tuns auseinanderzusetzen, anstatt uns nur um die eigentliche Lohnarbeit zu kümmern.

Und wie sollen wir die Freiräume nutzen?

Wenn wir darüber nachdenken können, was Sinn ergibt, können wir auch wieder etwas mehr auf uns als Menschen eingehen. Das hat eigentlich gar nicht so sehr einen philosophischen Hintergrund, sondern vielmehr einen humanitären.

Und auch einen pragmatischen?

Ja, es geht auch um gesundheitliche Aspekte.

Bergmanns immer wieder zitiertes Bonmot ist jenes von der Arbeit, die man «wirklich, wirklich will». Wie sieht das bei Ihnen persönlich aus? Verrichten Sie Arbeit, die sie wirklich, wirklich wollen?

Teilweise. Es war aber auch nie Bergmanns Intention, dass man nur dann arbeitet, wenn man gerade Lust dazu hat oder ausschliesslich Arbeit verrichtet, die einen erfüllt. Aber dank Bergmann und New Work habe ich gelernt, wie ich meine Arbeit auf- und umsetzen muss, damit ich mit meinen Werten dahinterstehen kann. Zudem bin ich selbst sehr technologiegetrieben und versuche, für meine Kundinnen und Kunden immer auf dem aktuellsten Stand zu sein, um die Qualität und den Einsatz von Tools und Methoden einschätzen zu können.

Wie sind Sie auf New Work gekommen?

In gewisser Weise wurde mir ein Rebellentum mütterlicherseits in die Wiege gelegt und ich habe Anweisungen, die mir nicht nachvollziehbar erschienen, immer erst hinterfragt. Es gab aber zwei wohl prägende Erlebnisse, die mich an das Thema herangeführt haben. Zum einen hatte ich vor über 20 Jahren einen Teamleiter, der, ohne wahrscheinlich überhaupt von Bergmann zu wissen, genau dessen Verständnis von Arbeit gelebt hat. Er hat uns als Team die Verantwortung innerhalb der Abteilung eines grossen Konzerns übergeben und uns selbstorganisiert arbeiten lassen. Dazu gehörten das hundertprozentige Vertrauen und Zutrauen, dass wir unseren Job gut machen. Das war das erste Mal, dass ich so etwas erlebt habe und mir wurde klar, dass Arbeit Spass machen darf. Später habe ich mich in verschiedenen Initiativen mit Leuten zusammengefunden, die sich mit New Work auseinandersetzten, Weiterbildungen besucht und nach und nach mein Wissen vertieft.

Der zweite Punkt ist sehr persönlich. Er betrifft meinen Vater. Er hatte nach einem Wechsel von der Selbstständigkeit ins Angestelltenverhältnis mit über 40 nicht mehr den Mut, seine Stelle zu wechseln, obwohl er gesundheitlich stark unter einem narzisstischen Chef litt und das komplette Betriebsklima durch Frustration und Angst geprägt war. Auch als Führungskraft konnte er diese toxische Stimmung kaum ertragen. Ab dem Tag, an dem er in Rente ging, waren alle seine gesundheitlichen Probleme wie Extremkopfschmerzen oder heftige Rückenschmerzen plötzlich verschwunden. Er lebte das, was Bergmann an solcher Art von Arbeit kritisierte: Sie ist wie eine schleichende Krankheit. Von montags bis freitags bauen sich die Symptome auf und am Wochenende kurieren wir sie wieder aus.

Die Erkenntnis ist das eine. Aber wie gelangten Sie zu der Arbeit, die Sie wirklich wollten?

Den Schritt in die New Work Begleitung habe ich in Kombination zur digitalen Beratung gewagt, mit der ich mich 2015 selbstständig gemacht habe, 2018 kam dann die Recherchearbeit für die Studie zur Arbeitswelt 4.0 dazu, die ich zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz und weiteren Partnerinnen und Partnern realisierte. Ich habe dabei erst richtig erkannt, über wie viel Erfahrung und Wissen ich in diesem Bereich verfügte. Das wollte ich – auch ganz im Sinne Bergmanns – weitergeben.

Agilität und Flexibilität passen durchaus zu New Work. Aber bevor ich eine neue Denkweise entwickelt habe, brauche ich damit nicht anzufangen.

Sie haben es vorhin erwähnt: Selbstorganisation gehört zu New Work. Ist New Work nicht eine Umschreibung von Flexibilität und Agilität?

Wenn man sich bei Prozessoptimierern umhört, steht agil zuoberst und New Work wird sozusagen subsumiert. Agilität und Flexibilität passen durchaus zu New Work. Aber bevor ich eine neue Denkweise entwickelt habe, brauche ich damit nicht anzufangen. Wenn ich mit Unternehmen zusammenarbeite, lade ich die Menschen ein darüber nachzudenken, was Arbeit noch sein könnte. Dazu gehört natürlich auch, sich darüber klar zu werden, wie die Organisation aufgebaut ist, ob man überhaupt wirklich etwas ändern möchte und ob man sich der Konsequenzen bewusst ist. Wenn sich die Mitarbeitenden der Möglichkeiten einer echten Transformation bewusst werden, wird es schwierig, den Return-Button zu drücken.

Kommen denn die Unternehmen nicht gerade deshalb zu Ihnen, weil sie etwas ändern möchten?

Es gibt verschiedene Gründe, warum Unternehmen zu mir kommen. Ich möchte aber vorausschicken, dass ich meine Werte sehr konsequent lebe, weshalb ich für gewisse Unternehmen nie arbeiten würde. Ich habe mich ganz bewusst auf KMU ausgerichtet. Diese haben gerade sehr viele Probleme, nicht zuletzt wegen des demographischen Wandels. Viele möchten auch wirklich etwas ändern und aus alten Strukturen und Mustern ausbrechen. Aber sie wissen nicht genau, wie sie diese auflösen sollen. Da setze ich an und arbeite zunächst einmal mit der Geschäftsführung. Ich versuche herauszufinden, ob ich dem Unternehmen überhaupt helfen kann. New Work ist eine Entwicklung ohne ein definierbares Ende. Meine Rolle besteht in der Begleitung. Das kostet Geld, verschlingt viel Zeit und Energie.

Wie viele Unternehmen lassen sich denn tatsächlich darauf ein?

Viele wollen es, wenige lassen sich darauf ein. Ich berate maximal fünf bis sechs Unternehmen pro Jahr und versuche ansonsten durch Vorträge und Workshops auf die Notwendigkeit hinzuweisen; also ich bereite die Basis vor. In konkreten Begleitungen habe ich mit vielen Individuen zu tun, die auch private Sorgen und Probleme haben. Und auch Verlustängste etwa von Führungskompetenzen oder finanziellen Einbussen tauchen auf. Und natürlich gibt es die Unternehmen, die einen Methodenkoffer erwarten, der ihnen erlauben soll, die Transformation selbst umzusetzen. Aber diesen selbsterklärenden Methodenkoffer mit Mindset-Wechselgarantie gibt es eben nicht.

Strukturelle Veränderungen sind also nicht in jedem Fall das Ziel?

Ich habe zum Beispiel mit einem Unternehmen zu tun, das eigentlich die Selbstorganisation anstrebt. Gleichzeitig sind da zwei Söhne, die später das Unternehmen übernehmen sollen. Wenn die Nachfolger später Führung übernehmen wollen, wird das mit sich selbstorganisierenden Teams schwierig. Sich ehrlich zu machen, das heisst, sich wirklich der Situation bewusst zu werden und auch zu den Tatsachen zu stehen,  und zu schauen, wie das zusammengeht, ist eine wesentliche Aufgabe.

«Weil es immer schon so war», ist eine Redewendung, die in der Regel immer am Anfang auftaucht.

Welche Probleme tauchen immer wieder auf?

Altgeprägte Muster. «Weil es immer schon so war», ist eine Redewendung, die in der Regel immer am Anfang auftaucht. Genau da setze ich dann an und frage: Was wäre die Konsequenz, wenn wir das nun anders machen würden?

Warum arbeiten Sie ausschliesslich mit KMU?

Weil ich mit denen auch mal Klartext sprechen kann. Dies birgt durchaus die Gefahr, dass ich dann raus bin, was auch vorkommt. Oft klärt sich das bereits im Vorgespräch, und wenn ich im Ansatz erkenne, dass ich der Zielsetzung mit meinem Ansatz nicht gerecht werden kann, dann kommuniziere ich gleich. Denn nur wenn die Unternehmensleitung selbst mit einer zukunftsorientierten Haltung Vorbild ist, klappt es mit der Veränderung im ganzen Unternehmen. Es reicht nicht, wenn das allenfalls nur vom HR angestossen wird, das den Auftrag «macht mal was mit New Work» angewiesen bekommt. Die Demotivation, die damit verbunden ist, wenn etwas angezettelt und dann abgebrochen wird, ist sehr hoch. Und das Unternehmen verliert dann wahrscheinlich seine besten Mitarbeitenden.

Warum wollen Unternehmen überhaupt eine Transformation hin zu New Work?

Zum einen wollen diejenigen eine Transformation, die bereits neue Konzepte kennengelernt haben und davon begeistert sind. Viele sind das allerdings nicht. Zum anderen bekommen viele Unternehmen eben keine Fachkräfte mehr, weshalb es auch um die Aussenwirkung geht.

Die Unternehmen vollziehen die Transformation, weil sie müssen. Eine Herzensangelegenheit ist das aber nicht unbedingt. Oder?

Das ist immer noch bei vielen so. Aber Halbherzigkeit geht nicht mehr. Gerade eine jüngere Generation, die sich mit Bewertungstools auskennt, schaut sich sehr genau an, was über Unternehmen ausgesagt wird, welche Bewertungen manipuliert sind und was tatsächlich dahintersteht. Unternehmen, die viele Mitarbeitende unter falschen Voraussetzungen einstellen, werden diese sehr bald wieder verlieren. Eine hohe Fluktuation kostet nicht nur viel Geld. Sie bedeutet auch eine langfristige Rufschädigung.

Die Möglichkeit, sich unter Umständen sogar autodidaktisch weiterzubilden und in andere Berufe reinzugehen, hat vieles in Bewegung gesetzt.

Sie sprechen von der jüngeren Generation. Ist sie es, die New Work einfordert?

Unter anderem. Aber der Fachkräftemangel prägt auch den Arbeitsmarkt. Zudem herrscht eine wesentlich grössere Transparenz auf dem Ausbildungsmarkt. Die Möglichkeit, sich unter Umständen sogar autodidaktisch weiterzubilden und in andere Berufe reinzugehen, hat vieles in Bewegung gesetzt. Auch hier lösen sich alte Muster auf und es entsteht eine enorme Dynamik. Das bedeutet aber auch, dass Unternehmen auf der Suche nach Fachkräften Profile in Betracht ziehen, bei denen die Ausbildung nicht passgenau ist. Diese Passung kann später on the job erfolgen.

Aber New Work kann ja nicht allein der Rekrutierung dienen.

Was wir auch noch haben – und ich hoffe, das wird sich durch den Fachkräftemangel auflösen –, ist die Altersdiskriminierung. Ältere Mitarbeitende werden zwar als loyal und erfahren geschätzt. Aber verliert man ab 45 seine Stelle, findet man in vielen Branchen so rasch keine neue mehr; zumindest wird die Auswahl wesentlich geringer und entsprechend muss oft die Gehaltsvorstellung nach unten angepasst werden. Und auch Frauen begegnen zusätzlich immer noch einer Vielzahl von Problemen.

Frauen, ältere Mitarbeitende und Personen mit tieferem Bildungsstand sind Personengruppen, die innerhalb der Unternehmen auch am wenigsten Förderung bzw. Weiterbildung erfahren.

Genau. Aber ich glaube, das ändert sich gerade. Es entstehen immer mehr Initiativen und die Zahl derer, die sich über solche Diskriminierungen austauschen, wächst. Entsprechend werden auch mehr und konkrete Angebote geschaffen. Von Vorteil ist, dass sich die Initianten mit den bestehenden Problemen in der Praxis auseinandergesetzt haben und ein Verständnis für die komplexen Zusammenhänge mitbringen. Das sollte eigentlich auch von den grossen Bildungsträgern und Organisationen der Weiterbildung zu erwarten sein.

New Work steht auch in einer Wechselwirkung mit anderen gesellschaftlichen Phänomen wie etwa der Parallelität von Tätigkeiten, der Flexibilisierung von Lebensphasen und von Rollenmodellen.

Durchaus. Gerade für jüngere Leute ist es wichtig, nicht mehr 100-Prozent in einem einzigen Betrieb arbeiten zu müssen. Man hat einen festen Arbeitgeber. Aber gleichzeitig laufen eben noch andere Projekte nebenher, die einem am Herzen liegen. Man könnte es auch so sagen: Der Generation Z, der ja nachgesagt wird, dass sie nicht mehr karrieregetrieben sei und überhaupt gar nicht arbeiten wolle, reicht ein 60-Prozent-Job in einem Unternehmen. Denn parallel muss noch ein Startup aufgebaut werden, ein ehrenamtliches Projekt verfolgt oder die Familie betreut werden. Das ist dann die Arbeit, die man wirklich, wirklich will. Kluge Unternehmen geben dem Raum.

Inwieweit ist New Work eine globale Bewegung?

New Work ist ein weltweites Phänomen. Aber viele kennen den Begriff als solchen nicht. Und oft ist auch der Begriff New Work nicht bekannt. Ich habe mit Kolleginnen in skandinavischen Ländern gesprochen, die noch nichts davon gehört haben, aber die Prinzipien von den Grundgedanken her bereits lange in ihren Unternehmen umsetzen. In vielen Bereichen sind die nordischen Länder ohnehin weiter als wir, was den Fokus auf die menschliche Komponente betrifft. Ob der tiefere Gedanke von Bergmann, dass man den Kapitalismus auch beim Konsumverhalten oder den Produktionsmethoden hinterfragt, vorhanden ist, kann ich nicht beurteilen. Die Idee wird aber positiv aufgenommen.

Damit wir uns weiterentwickeln und mit den Innovationen mithalten können, brauchen wir die weltweite Community.  Und in dieser müssen wir uns auf einer gemeinsamen Werteebene bewegen können. Letztlich geht es aktuell auch darum, wie wir als Gesellschaft überleben und unsere Erde retten. Das können wir nur miteinander und nicht gegeneinander.

New Work ist also eine Notwendigkeit?

Das ist so. Und wir können das Rad nicht mehr zurückdrehen. Aber wie gesagt, ist die Transformation oft mit Ängsten verbunden – etwa vor Macht- und Statusverlust. Was Bergmann unter New Work verstand, ist deshalb in erster Linie eine Persönlichkeitsentwicklung. Die eigentliche Weiterbildung besteht darin herauszufinden, was ich eigentlich aus und mit meiner Arbeit mache oder machen kann – und damit auch aus meinem Leben.

Stichwort Weiterbildung. Was hat der Weiterbildungsmarkt bezüglich New Work zu bieten?

Alter Wein in neuen Schläuchen, würde ich im Moment noch sagen. Es gibt wie erwähnt einige grossartige Initiativen, die wirklich neues Denken und bewährte Organisationsmodelle und Methoden mit philosophischen Konzepten sinnvoll verbinden. Von diesen lerne ich auch selbst noch viel hinzu, was ich für enorm wichtig halte.  Aber ich sehe auch ganz viele Ausbildungsthemen und -bereiche, die lediglich mit ein paar neuen Begriffen aufgehübscht und neu verpackt wurden, aber mehr oder weniger die alten sind. Die Angebote sind oft vollgepackt mit theoretischem Wissen. Aber wenn die Kultur oder die Sichtweise sich nicht ändern, werden alle diese Theorien nichts bewirken. Viele Führungskräfte, die in eine Weiterbildung geschickt werden, werden denn auch gar nichts ändern können, weil die Rahmenbedingungen im Unternehmen nicht gegeben sind oder sie die Umsetzungskompetenzen eben gar nicht vermittelt bekommen. Diejenigen, die durch eine gute Ausbildung erkannt und verstanden haben, dass freie Entscheidungen und persönliche Entwicklung für ein wirtschaftliches Unternehmen keinen Widerspruch darstellen, sondern auf ein tiefes menschliches Bedürfnis einzahlen, verlassen dann oft die Unternehmen oder machen sich selbstständig.

Weiterbildungen sollten mehr kreative Lernimpulse setzen, die ein «growth mindset» unterstützen, und das für alle Mitarbeitenden in Betrieben. Begleitetes Lesen für teure Zertifikate ist nicht mehr zeitgemäss. Wissen allein kann man sich jederzeit online im Selbststudium aneignen.

Trotz einer erstarkten New-Work-Bewegung feiert der Kapitalismus weiterhin Urstände. Man braucht sich ja nur einen Unternehmer wie Elon Musk anzuschauen, der wohl kaum von menschlichen Aspekten getrieben wird, nichts von Homeoffice hält und wohl auch nichts von unternehmerischen Aktivitäten seiner Mitarbeitenden. Frustriert Sie das nicht?

Sicher. Aber Elon Musk und Unternehmer seiner Art werden ihre besten Leute verlieren. Und auch die Kunden werden ihnen nicht mehr folgen, denn aus solcher Arroganz wurden auch Begriffe wie «DAU = dümmster anzunehmender User» geprägt. Oft entsteht das Gefühl, dass die Kundschaft bei der neuen Arbeit vergessen wird, aber das Gegenteil ist der Fall. Denn Kundinnen und Kunden profitieren von zufriedenen Mitarbeitenden und sind es im Umkehrschluss in der Regel selbst. Ich wünschte mir, dass die Unternehmen, die den Weg des New Work gehen, selbstbewusster und stärker auftreten würden. Wir brauchen diese positiven Beispiele, von denen es gerade in der Schweiz eine ganze Reihe gibt. Es sind Unternehmen, die beispielsweise in Organisationsmodellen holokratisch, soziokratisch oder kollegial organisiert sind und die ihren Mitarbeitenden kreative Räume und Möglichkeiten zur Entwicklung bieten. Das sind die Unternehmen, die wir brauchen, die überleben werden und die langfristig neue Massstäbe setzen.